„Die leichte Kraft der Schwere“
Peter Bielész’ kompromisslose Expedition in die ‚Gemütherregungskunst’
Wenn ein Poet einer Sammlung von Gedichten ein Motto von Novalis voranstellt, darf angenommen werden, dass aus dessen Poetologie die eine oder andere Koordinate für den Schreibprozess genommen werden. Novalis meint, dass Poesie „Gemütherregungskunst“ sei, und Peter Bielész setzt diese Definition an den Eingang seines jüngsten Gedichtbandes „Wortlandung und Versprechen mit Ankunft vor Mitternacht“. Was auf rund 120 Seiten folgt, bestätigt Novalis: Hier lässt sich ein Mensch von der Welt berühren, reagiert in seinem Blick auf diese mit „Gemütherregung“ und unterzieht das Wahrgenommene, indem er sich ihm mit sprachlichen Zeichen nähert, einer „qualitativen Potenzierung“ (Novalis).
Und der Blick des Peter Bielész trifft viele Bereiche des Lebens: Er widmet sich historischen Figuren und Reiseerinnerungen ebenso wie der Stille oder dem Zyklus des Weinbaus. Im Zentrum der Sammlung geht er poetologischen Fragen nach. Nur scheinbar widersetzt sich der Autor Wittgensteins kategorischem Appell zu schweigen, wenn sich etwas nicht klar sagen lässt. In kühnen Bildern und Wortschöpfungen macht er genau das möglich, was Wittgenstein meint, wenn er sagt: „Es gibt allerdings Unaussprechliches: Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“
Fulminant eröffnet Peter Bielész seine Sammlung mit einer poetischen Verklärung von Sophia Magdalena Scholl. Der Bogen des Gedichts spannt sich von der angstfreien Unschuld des Kindes über die subversive Mission der Studentin und ihren furchtlosen Tod bis hin zum Eintritt dieser Lichtgestalt des Widerstands in die Sphäre der Engel.
Nach Meditationen über die Stille folgt eine ausführliche Hommage an den Weinbau und damit eine indirekte Rückbindung der Poesie an Dionysos, den antiken Schutzgott der „Gemütherregungskunst“. Im Zentrum des Buches findet sich eine vielgestaltige Auseinandersetzung mit poetologischen Fragen, darunter das programmatische Titelgedicht „Wortlandung und Versprechen mit Ankunft vor Mitternacht“, das den poetischen Akt als „Flug mit geglückter Landung“ umschreibt. Und wieder taucht im Hintergrund Novalis mit seiner „qualitativen Potenzierung“ auf, wenn es in genannten Gedicht einleitend heißt: „Gib mir ein Wort / es wird ein Kristall.“ (S. 53) In der Frage „Wohin sprechen wir / wenn wir schweigen?“ (S. 59) verbirgt sich erneut das Motiv des „sprechenden Schweigens“, das im Gedicht „Leben – Wald – Kraft“ seine intensive Variation erfährt: „Schweige mein Wald / ich möchte hören.“ (S. 63)
In den Abschnitten „Versprechen“ und „Ankünfte“ – auch in diesen Titeln schwingt Programmatisches mit – beeindruckt Peter Bielész mit einer weitgefächerten Palette von „Kristallen“, in denen sich sein offener Blick für den Reichtum des Lebens spiegelt.
Dass gute Lyrik letztlich immer ein Ineinander von Musik und Bild ist, nimmt der Leser/die Leserin zusammenfassend mit den letzten vier Versen des Bandes mit: „Im Klangreich / ein Stimmfest / die Blüten zu hören / die Zeilen zu lauten.“ (S. 129) Und eben diese vier Zeilen schließen den Kreis zum Motto, das der Autor den „Fragmenten“ des Novalis entnommen hat: „Poesie ist innere Malerei und Musik, modifiziert durch die Natur des Gemüts.“
Die lyrische Expedition des Peter Bielész verdient deshalb die Qualifikation „kompromisslos“, weil jedes der Gedichte in seiner glitzernden Kristallform herausfordert, zum Innehalten einlädt und auch noch beim Weitergehen hermetische Leerstellen zurücklässt, die – so das Wesen von Lyrik – zum Wiederlesen verlocken. Was will man/frau mehr von einer Gedichtsammlung?
Herbert Först
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