Unter Kaskaden von Ironie einer möglichen Wahrheit auf der Spur
Überlegungen zu Peter Bielész‘ „Begegnung mit Seltsam“
Am 26. Juli 1967 besucht der Lyriker Paul Celan den Philosophen Martin Heidegger in dessen „Hütte“ im Schwarzwald. „Todtnauberg“ heißt der Ort, und so heißt auch das Gedicht, das eine Woche später entsteht. In ihm greift der Dichter seine Gästebucheintragung auf und skizziert in poetischer Form, was er von seinem Besuch erwartet: „… von / einer Hoffnung, heute, / auf eines Denkenden / kommendes / Wort / im Herzen“ ist da die Rede. Hoffnung worauf?
Fragen, Theorien und viel Dunkelheit umgeben seither diese Begegnung zweier Geistesmenschen, in deren Welten die Antipoden der Zeit aufeinander prallen: Paul Celan, der aus der Bukowina stammende Dichter, tragisches Opfer der Shoa, begegnet dem mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Philosophen Martin Heidegger. Tags zuvor hat der Dichter es noch abgelehnt, mit dem ehemaligen NSDAP Mitglied gemeinsam fotografiert zu werden, dessen Einladung aber angenommen.
Über das Wort sind die beiden mit der Welt des jeweils anderen mehr als vertraut. Seit 1952 liest und studiert Celan die Schriften des deutschen Philosophen; Heidegger wiederum kennt „alles von ihm“ und bewundert ihn. Und dennoch: Unüberbrückbares trennt die beiden. Oder doch nicht? Dieser Frage geht Peter Bielesz in seiner tragischen Groteske „Begegnung mit Seltsam“ nach. Indem er den botanisierenden Poeten auf den Holz hackenden Philosophen treffen lässt, beginnt ein skurriles Ringen um Anklage, Schuldeingeständnis und Rechtfertigung. Während der eine Steine kreisförmig anordnet, baut der andere seine „Hütte“; dazwischen Niemandsland, über das hinweg das Gespräch sich entfaltet. Mit viel Sprachwitz und Ironie zeichnet der Autor die beiden Männer mit ihren Hoffnungen, Intentionen und zwiespältigen Gefühlen. „Ich, Martin Heidegger, bin ein Irrtum.“ Auf diese Aussage zielt Celans Strategie ab. Vergebens, meint die Vielzahl der Spekulationen rund um die Begegnung der beiden. Anders Peter Bielesz: Die künstlerische Freiheit der Bühne erlaubt es, ans Ende der tragischen Verflechtung der zwei Lebenswege ein wenig Zuversicht zu setzen. Nicht anders ist es zu verstehen, wenn der Schwarzwald-Philosoph gegen Ende des Gesprächs die „Todesfuge“ by heart rezitiert und damit einen Perspektivenwechsel von reinigender Radikalität zumindest durchspielt: Jener Dozent, der im Mai 1933 mit dem von ihm missbrauchten Platon-Satz „Alles Große steht im Sturm“ die Erfüllung eines geschichtlichen Auftrags eingemahnt hat, spricht jetzt die klagenden Worte der Opfer. In Peter Bielesz‘ Groteske könnte sich Paul Celans Hoffnung erfüllt haben. Was dafür spricht: Das Gedicht formuliert keine (An-)klage, noch schließt es künftige Gespräche aus. Und die gibt es tatsächlich: Zweimal noch werden die beiden einander treffen, bevor der Dichter am 20. April 1970 seinem Leben ein Ende setzt. –
Mit überquellender Fülle an philosophischem Wissen und literarischem Verständnis gestaltet Peter Bielesz seine Groteske, deren Reiz zunimmt, je mehr Anspielungen und versteckte Zitate aufgespürt werden. Der über weite Strecken auf Provokation angelegte Dialog gerät mehrmals infolge beantragter „Gesprächsabbrüche“ ins Stocken, droht mitunter auch abzubrechen, kennt aber auch konstruktive Phasen. In diesen kommen die beiden einander erstaunlich nahe; die gemeinsame Verehrung Hölderlins etwa oder Verweise auf Beckets „Warten auf Godot“ vermögen die aus Misstrauen und Unsicherheit sich nährende, nicht selten verletzende Ironie auszusetzen. Dass die Sympathie des Autors dem Poeten Celan gehört, steht schon nach wenigen Minuten außer Streit. Dem sensiblen, psychisch labilen Lyriker, der trotz allem auf Heidegger zugeht, steht ein grober, arrogant agierender Philosophie-Gigant gegenüber, der sich in der Endphase des Gesprächs in seiner Professorenrolle mächtig gefällt. Dass unter dieser rauhen Schale dann doch noch ein fühlender Mitmensch erahnbar wird, überrascht, beschert dem Stück eine reizvolle Pointe.
Das skurril schroffe Gegenüber von zwei Charakteren macht die unterhaltsame Qualität des Textes aus; dass dieser sich auch als bekömmliche Einführung in die Sprach- und Geisteswelt zweier großer Denker des 20. Jahrhunderts lesen lässt, kommt als Mehrwert hinzu.
Herbert Först
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