„Wer bist du und was willst du von mir?“
In ihrem Roman „Der Edelsteingarten“ erzählt Susanne Ayoub
vom Fremd-Bleiben im Garten der Liebe.
„Ich kenne dich nicht“, sagt die Göttin Siduri zu Gilgamesch, als sie im Edelsteingarten auf diesen trifft und nach ausgiebiger Betrachtung den Schluss zieht: „Wie einer siehst du aus, der einen sehr weiten Weg hinter sich hat.“ – Weit ist auch der Weg von Wien nach Bagdad. Für ihn entscheidet sich Laura im Winter 1955, als das Leben sie mit Younis, einem jungen, weltoffenen Mann aus dem Irak, zusammenführt. Sie ist fünfundzwanzig, „unerfahren, aber kein Kind mehr“ (S. 33). Bislang unbekannte Gefühle von Liebe, aber auch die triste Enge der beruflichen und familiären Situation lassen sie Hals über Kopf mit dem schönen Mann in den Orient ziehen. „Laura flog über den Himmel ins Leben.“ (S. 46) Was sie kaum bedenkt, ist die Frage, welche Folgen der Eintritt in eine andere Kultur für sie und die junge Beziehung wohl haben würde. Betörend erlebt sie die Welt Bagdads, deren Licht, Düfte und Klänge sie in ihren Bann ziehen.
„Sie ließ sich von Younis ins Schlafzimmer führen. Das Nachthemd hatte er in Wien in der Habsburgergasse in einer Wäscheboutique gekauft und als Überraschung für sie mitgebracht. Der Duft der Rose hing in dem zarten Gewebe. Younis erklärte etwas, das mit seinen Brüdern zusammenhing. Sie verstand ihn nicht, und es war auch nicht wichtig. Der Duft wurde stärker, sie sog ihn ein, und etwas kitzelte sie in der Nase. Die Wüste war ganz nahe, gelbes Licht, ein Himmel ohne Farbe. Die Kamele zogen langsam nach Osten.“ (S. 51)
Bald kommt die Tochter Jenny zur Welt. Die Idylle der in Wohlstand lebenden Familie scheint vollkommen zu sein, wäre da nicht gelegentlich eine Trübung, die sich stets dann einstellt, wenn der jungen Frau bewusst wird, „dass sie ihre Freiheit aufgegeben hatte (…), ab nun Younis die Entscheidungen traf“ (S. 55). Immer wieder glaubt sie, sich wehren zu müssen, wenn Younis – ganz in seiner Kultur und Tradition gefangen – ihr das Gefühl gibt, von ihm als sein Besitz betrachtet zu werden.
Als eine Revolution das alte System hinwegfegt und das Land in einen Wirbel von Gewalt stürzt, lässt das – paradoxerweise – die beiden unaufhaltsam auseinanderdriften. Während Younis sich in politische Machenschaften verstricken lässt, sucht Laura Ablenkung in der Gesellschaft von Frauen der besseren Gesellschaft Bagdads. Sie treffen einander regelmäßig in einem Club im Stile der früheren Kolonialmacht England, wo sie – abgeschirmt von den politischen Stürmen – plaudern, flirten und trinken.
„Lauras Sommer 1959 verlief unbeschwert, als einziger vielleicht, dachte sie später. Sie hatte Freundschaften geschlossen, eigentlich Bekanntschaft mit einer Gruppe von Leuten, die wie sie nicht zu Hause war und auch nicht anderswo. Menschen, die sich um die Politik nicht bekümmerten, die Geld hatten, genug jedenfalls, um sich den Alwiyah Club zu leisten.“ (S. 216)
Mit viel Skepsis beobachtet Younis diesen Zeitvertreib seiner Frau, den er auch als Mangel an Loyalität erlebt. Als er erkennen muss, dass Laura medizinische Schritte unternommen hat, um nicht wieder schwanger zu werden, verletzt das seinen Stolz aufs tiefste, denn er sieht sich um seinen kulturbedingten Wunsch, Vater mehrerer Söhne zu werden, betrogen. Da die beiden unfähig sind, über die Problematik ihrer Beziehung zu sprechen, vollzieht sich deren Bruch nahezu stillschweigend, und dieser lässt sich auch durch gelegentlich hereinbrechende, leidenschaftliche Umarmungen nicht abwenden. Sechs Jahre nach ihrer Ankunft in Bagdad verlässt Laura mit ihrer Tochter den Irak, zurück bleibt ihr Mann in einem von Gewaltorgien erschütterten Land.
Fünf Jahre später – Laura hat sich in bescheidenen Verhältnissen in der Stadt ihrer Kindheit und Jugend wieder eingerichtet – taucht Younis unerwartet in Wien auf. Einiges deutet darauf hin, dass die „Liebe ihres Lebens“ den beiden noch eine zweite Chance geben könnte, diesmal in Amerika. Doch die Arme der irakischen Gewalt reichen bis Wien: Younis wird gewaltsam entführt und kommt zwei Tage später bei einem Verkehrsunfall im Zillertal ums Leben. Laura und Tochter Jenny werden nie erfahren, welch dunkle politische Prozesse dazu geführt haben.
Der Roman „Der Edelsteingarten“ setzt ein 1955, erstreckt sich über einen Zeitraum von zwölf Jahren und besteht aus drei Teilen: „Die Liebe“, „Revolution“ und „Luftschlösser“. Den insgesamt 22 Kapiteln vorgelagert ist ein effektvoller Prolog, der mit der Ermordung des Revolutionsführers Quassem am 9. Februar 1963 jenen Einschnitt in der jüngeren Geschichte des Irak schildert, der sich nicht unerheblich auf das private Leben von Laura und Younis auswirkt. In zwei kursiv gesetzten, epilogähnlichen Absätzen ergreift abschließend die Tochter Jenny das Wort, resümiert die Liebe ihrer Eltern, auf deren Suche sie sich nach „mehr als dreißig Jahren“ (S. 396) macht.
„Der Edelsteingarten“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Zum einen gibt er einen ergiebigen Einblick in die Welt des Irak und lässt erahnen, wie fordernd interkulturelle Beziehungen sind; zum anderen bleibt er in der Zeichnung der Charaktere vieles schuldig. Das mag an der Wahl des Stoffes liegen: Susanne Ayoub erzählt das Leben ihrer Eltern und ihre eigene Kindheit. Sie wurde 1956 in Bagdad geboren, verbrachte die ersten sechs Jahre im Irak und lebt heute als Autorin und Regisseurin für Radio und Film in Wien. Möglicherweise ist es diese „biografische Befangenheit“, die der Autorin jene Freiheit nimmt, die für authentische Charakterstudien vielleicht erforderlich ist. Auf den rund 400 Seiten gelingt es nicht, der Zeichnung von Laura und Younis Tiefe zu geben, die beiden psychologisch überzeugend zu gestalten. Das liegt wesentlich auch daran, dass weder Laura noch Younis ein Profil bekommt, das zur Identifikation einlädt; mehr noch: Laura, deren Perspektive den Roman prägt, zeigt mit Fortdauer der Handlung Züge, die eher Kopfschütteln als Sympathie, geschweige denn Bewunderung auslösen.
„Der Irak, ein Pulverfass, stand im Life Magazine, das Laura im Bookshop durchsah. Farah Dibas Baby sollte im März zur Welt kommen, Doris Day drehte in der Wüste von Nevada einen Western, Jacky Kennedy flirtete auf Capri mit dem Fiatmagnaten Agnelli. Sie war ebenso chic wie Farah Diba, aber lange nicht so hübsch. Und Doris Day, so brav und blond, kühl wie ein Eiswürfel bei hundertdreißig Grad Fahrenheit in Nevada.“ (S. 345)
„Laura folgte ihnen. War alles schon vorbei? Die Kugel rollte, nichts konnte sie mehr aufhalten. Hatte sie verspielt? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Sie fand ihre Zigaretten. In der Nacht verführte sie ihn. ‚Ich möchte mich versöhnen‘, flüsterte sie nachher in sein Ohr.“ (S. 369)
Etwas irritierend gelegentlich auch die Erzählkunst. Mit dem ersten Absatz des ersten Kapitels wird klar: Erzählt wird aus Lauras Sicht.
„Laura lag auf dem Sofa, die Beine über die hölzerne Armlehne geworfen, das Samtkissen mit Omas Stickerei im Nacken. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab.“ (S. 10)
Schon im nächsten Absatz wird die personale Perspektive mit erlebter Rede noch verstärkt. Angesichts zermürbender Zerwürfnisse ihrer Eltern fragt Laura sich:
„Aber was konnte Laura dafür? Musste Ewa ihre schlechte Laune an der unschuldigen Dritten auslassen?“ (S. 10)
Eingestreut in den Text werden dann aber auch Passagen, die über Geschichte und Gesellschaft des Irak informieren, und das aus der Sicht jener Laura, die nur bedingt an den politischen Entwicklungen des Landes interessiert ist.
„Ghazis Sohn Faisal der Zweite war noch ein Kind, deshalb übernahm Faisals Onkel Kronprinz Abdulillah die Geschäfte. 1941 erhoben sich die Generäle gegen ihn. Kurze Zeit sah es so aus, als würde sich das Militär durchsetzen, dann eilten die Briten den Hashemiten zu Hilfe.“ (S. 141)
Sowohl thematisch als auch erzähltechnisch und sprachlich beginnt Susanne Ayoubs Roman vielversprechend, reißt einen Stoff an, der sich wie kaum ein anderer zu einer Studie über das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen eignen würde; leider verdünnt er sich aber bald zu einer langen, aber nur selten packenden Liebesgeschichte. Schade, dass dieses Buch nicht einzulösen vermag, was sein prächtiges Cover und der auf Gilgamesch verweisende Titel erwarten lassen.
Textprobe:
Das Zimmer war in helles Licht getaucht, aber die Lampe brannte nicht, Laura hatte sie vor dem Einschlafen abgedreht. Sie war im Dunkeln gelegen und hatte den Abend, diesen unerhörten Weihnachtsabend, noch einmal vorüberziehen lassen. Sie schlief, sie musste träumen, nie war es in diesem Zimmer so hell gewesen. Dabei hatte sie die Augen fest geschlossen, sie war zu müde, sie zu öffnen. In den Schläfen spürte sie einen kleinen Schmerz klopfen, das kam vom Likör, den sie mit ihrer Mutter getrunken hatte. Sie tranken sonst nie Alkohol, nur Stephan, der trank für die ganze Familie. Aber das bisschen Kopfweh machte ihr nichts. Ganz zufrieden lag sie in ihrem Bett, in diesem überirdischen Licht. Ein vergnügtes Kichern kitzelte sie hinten in der Kehle. Vielleicht war sie ja noch immer beschwipst, oder war es doch ein Traum.
Nein, das konnte nicht sein, denn nun sprach Ewa auf der anderen Seite der Wand, Laura hörte sie so klar, als stünde sie im Zimmer neben ihr.
„Ich dachte, Mohammedaner trinken keinen Alkohol.“ Das sagte sie in ihrem üblichen missmutigen Tonfall.
Schade, dachte Laura, noch immer mit geschlossenen Augen. Das wäre doch zu schön gewesen, aber solche Wunder geschahen nicht in der Wirklichkeit. „Reich mir die Hand, mein Leben“, hatte sie gestern als Antwort auf Younis‘ Ständchen gesungen. Aus Don Giovanni. Weil er so gern mit ihr in die Oper gehen wollte. (S. 18)
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